Wege der Ganzwerdung

Ein Widerspruch, der keiner ist

Handpositionen, morphologische Resonanz und mystischer Orden
veröffentlicht im Reiki-Kalender 1999 der édition trevès

Die Reiki-Handpositionen

Wir alle kennen Paradoxa in Reiki. Eines davon, vielleicht das Bekannteste, läßt sich so formulieren: Wenn Reiki dahin fließt, wo es gebraucht wird, wieso gibt es dann eine Form der Eigen- und Ganzbehandlung mit festgelegten Positionen? Ich habe darauf eine mögliche Antwort gefunden, die ich euch gerne mitteilen möchte. Zum bessren Verständnis beginne ich mit einem Exkurs über die Form der Behandlung.

Über die Vielzahl der Formen…

Wenn ich mir verschiedene Reikibücher anschaute oder mich mit ReikianerInnen austauschte, begegneten mir immer wieder unterschiedliche Abläufe der Eigen- und Ganzbehandlung und verschiedene Handpositionen. Manches erkannte ich wieder, anderes war mir neu. Ich spreche hier nicht von Dingen wie dem Chakrenausgleich, dem Energiestrich oder anderen Ergänzungen, die meines Wissens kein Bestandteil des Usui-Systems, sondern nur eine Möglichkeit der Anwendung von Reiki sind. Es geht hier um die eigentliche Praxis des Handauflegens.

Dann erfuhr ich von meinem Meister, daß eine Form existiert, die von Großmeisterin Takata verwendet wurde und sich von den hier gebräuchlichen unterscheidet. Ich war etwas verwirrt. Nicht nur, daß ich über den Sinn einer Form grübelte, wenn doch die Energie dahin fließt, wo sie gebraucht wird. Nein, da gab es auch verschiedene Formen.

… und woher sie kommen

Mary McFadyenMeines Wissens hat die Meisterin Mary McFadyen Reiki von Amerika nach Deutschland gebracht. Sie bildete Brigitte Müller aus, bei der sehr viele Reiki-MeisterInnen der frühen Generation ihre ersten Grade erlernten. Dabei schliff sich ein bestimmter Ablauf der Behandlungsform ein, der seitdem in vielen Büchern publiziert und von manchen Meistern nach ihrem Gutdünken verändert wurde.

Das Usui-System wurde zu dieser Zeit noch vor allem nach dem Motto ‘gut ist, was sich gut anfühlt’ praktiziert. Dabei wurde vergessen, daß ein jeder einen langen Weg zurücklegen muß, bis er dies aus reinem Herzen heraus feststellen kann. Zu oft stehen uns sonst Selbsttäuschung und andere Ego-Spiele im Weg.

Und jeder Meister trägt eine große Verantwortung, denn was ein Schüler in seinem 1. Grad-Seminar lernt, prägt seine Reiki-Praxis für lange Zeit.

Die neue und doch alte Form

Auf mehreren Treffen im Winter 1996 habe ich erlebt, wie Phyllis Furumoto, die Trägerin der Linie im Usui-System der Reiki-Heilung, und Paul Mitchell, das Oberhaupt der Disziplin, jenen Ablauf der Eigen- und Ganzbehandlung demonstriert haben, die sie von Takata gelernt haben.

Anfangs tat ich mir schwer damit, dies einfach zu übernehmen. Schließlich praktizierte ich schon seit Jahren eine abweichende Form. Warum sollte ich beispielsweise auf die Fußposition verzichten, wo ich diese doch als so gut und naheliegend empfand? Doch ich ließ mich darauf ein und war schnell überzeugt. Die einfache Klarheit dieser Form erschien mir vollkommen im Geiste von Reiki zu sein. Und sie besaß etwas Besonders, was ich mir erst später erklären konnte.

Unser Universum besitzt ein Gedächtnis

Rupert SheldrakeIn einem wissenschaftlichen Artikel von Gerhard Kadir Tucek über Orientalische Musik- und Kunsttherapie stieß ich auf Rupert Sheldrakes Thesen über morphologische Resonanz. Ganz kurz zusammengefaßt besagt diese These folgendes:

Das Wissen oder die Erfahrungen beispielsweise von Gruppen sind in einem “Gedächtnisfeld der Natur” gespeichert. Um daran teilhaben zu können, ist es sinnvoll, sich der am häufigsten praktizierten Rituale dieser Tradition zu bedienen und diese so exakt wie möglich nachzuvollziehen.

Jene These erscheint mir als recht brauchbare Arbeitsgrundlage. Diese Einschätzung gründet zum einen auf meinen Erfahrungen in Heilungs- und Gesundheitssystemen und zum anderen auf den Erkenntnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Ich verweise hier auf die moderne Quantenphysik und beipielsweise die Implikationen von Bells Theorem.

Dies bedeutet für uns:

Wenn wir uns etwa des traditionellen Ablaufs der Eigenbehandlung bedienen, dann vertiefen wir dadurch unsere spirituelle Erfahrung mit Reiki und gleichzeitig unsere Spuren im morphischen Feld.

Dies betrifft also ebenfalls sehr stark die Erfahrung des Usui-Systems als einem “Mystischen Orden”. Dies ist für viele der am schwierigsten anzunehmende Bestandteil der vier Aspekte des Systems, zu denen außerdem noch körperliche Heilung, persönliche Entwicklung und spirituelle Disziplin gehören. Zu sehr schwingen hier Anklänge an Kirche oder Sekte mit.

Doch kann man sich den Inhalt dieses Aspektes – auch im Zusammen-hang mit dem morphischen Feld – so verdeutlichen: Ich spüre eine Art von Gemeinschaft, wenn ich mich selbst behandle und weiß, daß am selben Tag Tausende von Menschen auf dieser Welt das gleiche Ritual durchführen.

Abweichung stört die Resonanz

Wesentlich erscheint mir ein Bestandteil der These, der besagt, daß durch jede Abweichung – also die Veränderung alter Praktiken – die Resonanz gestört und damit die Wirkung geschmälert wird. Wenn also jemand glaubt, Handpositionen dauerhaft hinzufügen oder gar Symbole und Einweihungsformen verändern zu müssen, dann tut er sich und denen, die von ihm lernen, nicht Gutes. Er entfernt sich von den tiefen Erfahrungen, die jedem offenstehen. Zusatzpositionen – wie die der Füße – kann ich jederzeit benutzen, wenn dies tatsächlich notwendig erscheint.

Form heißt auch Sicherheit

Jetzt soll bitte niemand denken, daß ich gegen Veränderung wäre. Jeder Mensch, der Reiki praktiziert, weiß, daß Leben Wandel bedeutet. Doch inmitten dieses Wirbelsturmes brauche ich meinen Ruhepol, benötige ich meine Wurzeln, um weiter gen Himmel wachsen zu können. Und diese Sicherheit gibt mir die Form, in die sich die universelle Lebensenergie ergießen kann.

Grundsätzlich denke ich, daß jemand Änderungen in der Lehre einer spirituellen Disziplin – wenn überhaupt – erst dann durchführen sollte, wenn sich seine Meisterschaft nach Jahrzehnten bemißt, nicht nach Monaten.

Von der Suche nach Antworten…

Joachim Ernst BehrendtZum ersten Mal seit langem wieder wurde ich auf dem Reiki-Schüler-Treffen 1996 in Gersfeld auf den eingangs erwähnten schienbaren Widerspruch aufmerksam. Dies geschah im Zusammenhang mit den von Takata überlieferten Handpositionen, die uns Paul Mitchell zeigte. Von ihm selbst erhielt ich, auch aufgrund der vielen anderen Fragen von Teilnehmern, keine Antwort. Doch fand ich sie circa zwölf Tage später in dem erwähnten Artikel, der schon wochenlang in meiner Ablage auf mich gewartet hatte. Nun wußte ich warum.

Joachim Ernst Behrendt, Musik-Autor, Produzent und ein Pionier des Horchens, ist der für mich nachvollziehbaren Überzeugung: Fragen bringen uns weiter als Antworten. Und eine gute Antwort bringt Fragen hervor, die uns wieder tiefer führen. So ist es nun interessant, welche Fragen dieser Artikel in euch auslöst. Doch gibt es noch eine andere Sicht.

…zum Leben mit Fragen

Denn in meiner traditionellen Ausbildung blieb vieles offen. Wie funktioniert denn nun dieses Reiki? Wo kommt es her? Wie kann ich Einweihungen erklären? Und viele weitere Fragen gingen mir seitdem durch den Kopf. Und im Laufe der Jahre meiner Praxis des täglichen Handauflegens habe ich gelernt, diese Fragen stehen zu lassen. Es ist nicht mehr wichtig, wie und warum etwas geschieht, sondern daß es geschieht.

Die Praxis von Reiki bedeutet für mich also auch, nicht unbedingt Antworten finden und den Geist beschäftigen zu müssen, sondern meine Energie dorthin zu richten, wo sie wirklich gebraucht wird. Wenn mir allerdings mögliche Antworten begegnen, dann bemühe ich mich, meine Augen nicht davor zu verschließen. Und mehr noch: Wie Reiki selbst, möchte ich sie am liebsten mit anderen teilen.

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Frank Doerr

Veröffentlicht von

Intensive Reiki-Praxis seit 1993 und beständige Fortbildung. 1998 Reiki-Meister der 6. Generation in der Linie Usui – Hayashi – Takata – Furumoto – Kindler. Von 1994 bis 2009 Mitarbeiter beim Reiki-Festival. 1996 im Gründungsteam des Reiki Magazins, seitdem Redaktionsmitglied bzw. freier Mitarbeiter. Seit 1999 Chefredakteur von Reikiland.de. Veranstalter der ReikiCon (seit 2010) sowie Gründungsmitglied von ProReiki. Publikationen: Die Reiki-Lebensregeln (Windpferd 2005), Das Reiki-Meister-Buch (Windpferd 2007). CD mit Merlin's Magic: Reiki-Elixier inkl. Booklet (Windpferd 2007).

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