Wege der Ganzwerdung

Zora Gienger: Reiki

Zora Gienger: ReikiIrisiana, Hugendubel Verlag 2007, 192 S., 16,95Euro 

Zora Gienger ist mir als Reiki-Autorin bislang unbekannt und verrät
auch in dem vorliegenden Buch so gut wie nichts über ihre
diesbezüglichen Qualifikationen oder konkrete Ausbildungen. Klar wird
nur, dass die Autorin Reiki-Lehrerin ist und in einer
Gesundheitssprechstunde unter anderem auch Reiki anbietet. Bei Amazon
finden sich allerdings einige Bücher von Zora Gienger zu Themen wie
Meditation oder zu klassischen Frauenthemen wie Schwangerschaft. 

Diese Erfahrung zeigt sich von Anfang an in diesem Buch: Vom schönen Aufbau als Hardcover über die gesamte Struktur und den Textaufbau bis hin zum sauberen Lektorat macht es einfach Freude, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Im einleitenden Kapitel taucht nach dem Anfang “Du bist Reiki” und schönen Erklärungen angesichts der alten Reiki-Legende als einzigem geschichtlichen Exkurs und der falschen Deklaration einer Version der Lebensregeln mit neun Sätzen als “heutigen Lebensregeln” ein wenig Skepsis auf, die jedoch bald Begeisterung Platz macht.

Nicht nur, dass die Fragen der Autorin zu den Lebensregeln wunderbare Auslöser für eigene, beständige Prozesse sein können. Vielmehr offenbaren ihre Ausführungen auf den folgenden mehr als 60 Seiten eine Herangehensweise an das Thema Reiki, die sich von vielen anderen Grundlagenbüchern deutlich unterscheidet. Wo viele andere AutorInnen voneinander oder gar von ihren eigenen früheren Werken nur abzuschreiben scheinen, sucht sich Zora Gienger ihren eigenständigen Weg.

“Wissenswertes über Reiki und energetisches Heilen” ist das zweite Kapitel betitelt. Darin philosophiert die Autorin über das Wesen von Energie, beschreibt Wirksamkeit und Wunder, Bewusstseinszustände und Wahrnehmungen, um schließlich das Thema Chakren und Aura abzuhandeln. Dabei empfinde ich viele Ausführungen als inspirierend. Lediglich der Aussage, dass man sich bei der Selbstbehandlung nicht wirklich entspannen könne (S. 39) und damit die “Fremdbehandlung” wirkungsvoller sei, muss ich aus eigener Erfahrung widersprechen.

Als Ehefrau eines Frauenarztes, in dessen Praxis sie ihre Gesundheitssprechstunde leitet und gemeinsam mit ihm Patienten zu betreuen scheint (S. 78), verwundert es nicht, dass es im dritten Kapitel um Reiki und Schulmedizin geht. Einige wenige Aussagen gleich zu Anfang wirken ein wenig überspitzt, wie die Einschätzung der Autorin, dass die Etablierung der Energiemedizin in der modernen Schulmedizin “fast unmöglich” sei oder dass die Schwierigkeiten der objektiven Messbarkeit von Reiki für “alle” Schulmediziner eine Hürde darstelle (S. 59). Doch davon abgesehen enthält dieses Kapitel wertvolle Anregungen für jeden Reiki-Praktiker. Ob Aspekte von Heilung oder Krankheit, Ziele der Reiki-Behandlung, Grenzen und Möglichkeiten von Reiki, rechtliche Grundlagen oder die Darstellung von Reiki als Zuwendungsmedizin bzw. als Beruf: Sämtliche Informationen auf diesen 23 Seiten sind absolut lesenswert.

Das vierte Kapitel wendet sich dann der Praxis des Handauflegens zu. Erste Informationen über Vorbereitungen auf eine Behandlung und was man beachten sollte, sind hilfreich. Die Aussage der Autorin, dass man höchstens drei Klienten am Tag behandeln sollte, würde ich – gerade angesichts der Lebenserfahrungen Hawayo Takatas – sehr in Frage stellen. Danach folgt die Darstellung der Selbstbehandlung mit Zeichnungen und Beschreibungen der Position. 23 Punkte beschreibt hier die Autorin, wobei manche Aufzählungspunkte seltsamerweise mehrere Positionen zusammen fassen. Dies ist der erste und einzige Bereich in diesem Buch, der das bisherige Niveau in Sachen Struktur nicht halten kann. Denn es ist nicht wirklich klar, ob hier der Ablauf einer Selbstbehandlung beschrieben wird (die mit ca. 27 Positionen massiv überdimensioniert wäre) oder einfach nur die Möglichkeiten von Positionen. Meine Erfahrung mit Lesern von Reiki-Büchern legt nahe, dass der vorgestellte Ablauf von vielen als Pflicht interpretiert werden und damit letztendlich zu Stress anstelle von Entspannung führen könnte.

Nachvollziehbarer sind dann wieder die Anwendungsbeispiele, wo ich beispielsweise die Idee, mit Kindern “Reiki zu spielen” sehr schön finde (S. 129). Reiki für bestimmte Lebenssituationen oder konkrete Beschwerden von Allergien bis Zyklusstörungen mit Empfehlungen für bestimmte Handpositionen füllen die nächsten 41 Seiten. Kurze Informationen zu den weiteren Reiki-Graden, Beispiele für Affirmationen, eine Literaturliste, die leider kein einziges Reiki-Buch enthält, sowie ein Register runden das Buch ab.

Neben meiner Kritik am Behandlungsteil arbeitet dieses Buch vor allem zu wenig heraus, dass es sich bei dem Usui-System um einen Einweihungsweg handelt. Wer Reiki kennt, wird kleine Hinweise an der ein oder anderen Stelle verstehen. Doch von “Einstimmung” ist hier nur die Rede in Bezug auf die Vorbereitungen für eine Behandlung, und das Wort “Einweihung” taucht nur kurz im Kontext des “vierten” Grades auf (S. 175). Dies mag das Buch zwar als Einstieg für eine eher skeptische Zielgruppe prädestinieren, birgt aber Gefahren in sich. Zu oft sind mir in Anrufen oder Internetforen Menschen begegnet, die nach der Lektüre eines Reiki-Buches mit dem Handauflegen begannen und sich wunderten, warum sie dann ausgelaugt und erschöpft waren. Die Information, wie eminent wichtig der Besuch eines Kurses ist, um statt mit der eigenen Energie mit universeller Lebensenergie arbeiten zu können, konnte ich in diesem Werk nicht entdecken.

Wenn diese und die anderen angesprochenen Missverständnisse in einer zweiten, überarbeiteten Auflage klar gestellt würden, wäre das Werk von Zora Gienger aus meiner Sicht uneingeschränkt zu empfehlen und gerade für angehende Reiki-Praktiker eines der aktuell besten Bücher auf dem Reiki-Markt. 


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Frank Doerr

Veröffentlicht von

Intensive Reiki-Praxis seit 1993 und beständige Fortbildung. 1998 Reiki-Meister der 6. Generation in der Linie Usui – Hayashi – Takata – Furumoto – Kindler. Von 1994 bis 2009 Mitarbeiter beim Reiki-Festival. 1996 im Gründungsteam des Reiki Magazins, seitdem Redaktionsmitglied bzw. freier Mitarbeiter. Seit 1999 Chefredakteur von Reikiland.de. Veranstalter der ReikiCon (seit 2010) sowie Gründungsmitglied von ProReiki. Publikationen: Die Reiki-Lebensregeln (Windpferd 2005), Das Reiki-Meister-Buch (Windpferd 2007). CD mit Merlin's Magic: Reiki-Elixier inkl. Booklet (Windpferd 2007).

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