reiki und huna

Form, Stile, Philosophie und Grundsatz-Diskussionen zu Reiki und dem Usui-System.

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Christian

reiki und huna

Beitrag von Christian »

gibt es tatsächlich eine nähe oder gar eine gemeinsamkeit von reiki und huna?

auslöser für derartige spekulationen mögen aussagen wie diese über die bedeutung des kanji rei sein:
"Der oberste Teil des rei bedeutet Regen. Das kann man sich daran gut merken, dass in der stilisierten Wolke vier Tropfen sind. Damit hat sich in der Wolke nun schon vom Himmel gesegnetes Wasser manifestiert, das bereit ist, auf die Erde zu fallen. Unter dem Regen gibt es drei Vierecke, welche für drei Münder stehen und gemeinsam Gebet bedeuten, weil die drei archetypischen Teilpersönlichkeiten Inneres Kind, Mittleres Selbst und Hohes Selbst dem Göttlichen gegenüber denselben Wunsch äußern. Natürlich werden sie in der chinesischen Lehre anders genannt. Sie sind hier als die drei Hun-Seelen bekannt."
quelle: Hosak/Lübeck, Das grosse Buch der Reikisymbole, S.381.

andere folgern dann noch erheblich wagemutiger:
"Das Reiki-Kanji zeigt uns auch einen Teil der Hunapraxis, das Hunagebet."
quelle: http://www.reiki-land.de/artikel/vertie ... a-664.html

ich bezweifele die gültigkeit beider oben genannten interpretationen.

in der tat ist im huna, oder genauer gesagt in der "esoterischen interpretation" (wikipedia) dieser polynesischen naturreligion, die serge kahili king vertritt, von drei selbsten die rede:
1.mittleres oder äußeres selbst (lono): sitz des menschlichen wachbewusstseins und des rationalen verstandes. es dient der entwicklung des willens und der unterscheidungsfähigkeit.
2. unteres oder inneres selbst (ku): seine funktion ist teilweise identisch mit dem westlichen konzept des unterbewusstseins.
3. hohes selbst (akuma): es stellt die verbindung des menschen mit der jenseitigen welt dar. es soll im zusammenspiel mit den dort waltenden kräften erzeuger der konkreten irdischen realität sein.

ein ganz anderes und wesentlich komplexeres konzept von mensch, seele, kosmos finden wir aber in der chinesischen tradition. im unterschied zum westlichen begriff von "seele" gibt es im chinesischen denken nicht nur einen begriff, sondern gemäss den fünf wandlungsphasen existieren fünf psychische und körperliche entsprechnungen, die verschiedene seins-aspekte des menschen beschreiben. die differenzierung dieser verschiedenen seelen-aspekte wird mit dem begriff wu shen beschrieben. mit den "wu shen" (wu= fünf, shen= geist), den fünf geistigen aspekten der fünf wandlungsphasen, werden sowohl primitive und ursprüngliche anteile der seele als auch höhere bestandteile beschrieben.

im huang di nei jing su wen, einem grundlegenden werk der daoistischen medizin, das dem mythischen "gelben kaiser" zugeschrieben wird, tatsächlich wohl aber eher im 3.jahrhundert vor chr. aus verschiedenen quellen kompiliert wurde, wird in kapitel 23 gesagt:

"das sind die schätze, die die fünf zang beherbergen:
das herz birgt den geist shen,
die lunge birgt die po (körperseele);
die leber birgt hun (hauchseele),
die milz den verstand yi,
die nieren bergen den willen zhi.
das sind die schätze, die die fünf zang beherbergen."

das system der fünf wandlungsphasen erklärt die welt anhand von fünf grundbausteinen: holz, feuer, erde, metall und wasser. dabei handelt es sich aus chinesischer sicht um die grundbausteine der welt. so werden jeder wandlungsphase eine jahreszeit, eine emotion, eine farbe, ein geruch, eine fähigkeit und einige organe des menschlichen körpers zugeordnet. diese phasen sind nicht statisch, sondern im immerwährenden wandel miteinander verbunden: wie auf den sommer immer der herbst und danach der winter folgt, so fließt die lebensenergie im menschlichen körper von einer wandlungsphase zur andern, wobei jede die nachfolgende ernährt und stärkt, die übernächste aber kontrolliert und in der balance hält.

auch in der chinesischen literatur wird hun zum thema.
der schlüsseltext, der für unsere frage bedeutsam ist, wäre hier das gedicht "chao-hun" des autors sung yüh (ca. 290 v.chr.). chao-hun bedeutet: das zurückrufen der seele.
dieses kulurhistorisch bedeutsame dokument gehört zu den sehr frühen dokumenten der chinesischen literatur, in der von der hun-seele die rede ist. bei diesem gedicht handelt es sich nach auffassung zahlreicher kommentatoren um eine schamanische heilungsbeschwörung für eine vor trauer kranken person hohen gesellschaftlichen ranges. es wird im text berichtet, ihre hun- und po-seele hätten sich getrennt und den körper verlassen. sie werden mehrfach eindringlich zurückgerufen. die hun-seele wird hier - und auch in anderen vergleichbaren texten - mit der gefühlswelt von entgrenzendem fernweh und sehnsucht nach einer geliebten in verbindung gebracht.

die trennung von hun in drei und die trennung von po in sieben teile erfolgt literaturhistorisch erst jahrhunderte später. in den texten des daozang, dem daoistischen kanon, treten drei hun personalisiert als wohlmeinende gestalten und sieben po als unmanierliche gesellen auf. eine wie auch immer geartete analogie zu vorstellungen des huna ist aber auch hier beim besten willen nicht erkennbar.

aus dem bisher gesagten mag dem interessierten leser deutlich werden:
hun - oder die drei hun-seelen, von denen anfangs die rede war - charakterisiert nach chinesischer auffassung lediglich einen energetischen teilaspekt eines umfassenderen mehrdimensionalen funktionskreises. keinesfalls lässt sich mit hun aber ein hierarchisches persönlichkeitssystem beschreiben, das wie im "westlichen" huna, aus drei teilpersönlichkeiten besteht.

deswegen halte ich es für irreführend, lediglich auf grund einer zweifelhaften interpretation des kanji rei hier eine simple kompatibilität zu suggerieren und für ausserordentlich fragwürdig, gar eine spirituelle identität zwischen reiki und huna zu propagieren.

zuletzt möchte ich den blick noch auf das zeichen der drei vierecke, die drei münder darstellen, lenken.
es kommt natürlich auch in anderen chinesischen schriftzeichen vor. in kombination mit dem zeichen für baum nimmt es zum beispiel umgangssprachlich die bedeutung von "durcheinander" an. dies wird abgeleitet aus der vorstellung, in einem baum sässen viele zwitschernde vögel und veranstalteten ein chaotisches konzert.

auch vor diesem hintergrund erscheinen vorstellungen vom gemeinsamen einstimmigen gebet als eher unangebracht.....

selbstverständlich bin ich natürlich bereit, meine ansichten zu revidieren, wenn mir jemand präzise angaben macht zu den quellen, aus denen er tiefere erkenntnisse schöpfen mag. bis dahin bleibt mein verdacht bestehen, hier werde eine bedeutung in eine sache gelegt, weil man sie eben dort zu finden wünscht.....
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Ameise
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Beitrag von Ameise »

Interessanter Text, danke ... :)
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Christian

Beitrag von Christian »

wie schön, nach einem halben jahr doch noch eine resonanz.

den text habe ich übrigens vor der veröffentlichung von einer freundin, die studierte sinologin ist, prüfen lassen. im wesentlichen beziehe ich mich in meinen ausführungen auf die arbeiten von gudula linck. sie ist studierte ethnologin, sinologin und japanologin und professorin an den universität freiburg und kiel. ausserdem ist sie ausgebildet in therapeutischem qui gong.

frau linck rechnet das chinesische "ling" - also das japanische "rei" - übrigens eindeutig der wirkkraft der erde (yin) zu - also keineswegs, wie die westliche esoterik, himmlischen oder gar göttlichen kräften.

aber zwischen religionswissenschaftliche präzision und "glauben wollen" liegen natürlich welten......:-)
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Beitrag von Ameise »

Klingt, als ob "Erdung" wichtig sei ... ;)
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